Macht und Abhängigkeiten

Die Medien sind momentan voll mit Anschuldigungen gegen einen Musiker, dem vorgeworfen wird, seine Machtposition gegenüber (sehr) jungen Frauen systematisch auszunutzen. Familienministerin Paus hat die scheinbare Lösung des Problems: das Einrichten von Frauen-Schutzzonen auf Konzerten! Die Konzerte gehen derweil unbeeindruckt weiter… Außerdem können Frauen ja auch einfach „nein“ sagen! Oder etwa nicht?

Being a woman in a man’s world

Man kennt’s:

Lauf nicht alleine nach Hause! Und auf keinen Fall im Dunkeln!

Zieh dich nicht zu aufreizend an (was soll das überhaupt genau bedeuten und wer legt das fest?!) und trinke nicht zu viel Alkohol, am besten gar keinen!

Aber auch auf dein alkoholfreies Getränk musst du lückenlos aufpassen, K.O.-Tropfen, you know?

Die Liste an gut gemeinten Anweisungen, die Frauen zu hören bekommen, wenn sie das Haus verlassen, könnte unendlich fortgesetzt werden.

Nun also noch: Nutze bei Konzerten die Frauen-Schutzzone!

Ist das nun eigentlich Opfer- oder eher Täterschutz?

Die Sache mit dem „nein“

Unsere menschlichen Stressreaktionen haben sich seit der Steinzeit nicht viel verändert: Fight, flight or freeze, also Angriff, Flucht oder Erstarren heißt es damals wie heute, wenn ein Mensch in eine bedrohliche Lage gerät. Stellen wir uns vor, eine Frau gerät in eine für sie bedrohliche Situation mit einem Mann:

Angriff ist bei der vermutlichen körperlichen Überlegenheit des Mannes keine aussichtsreiche Option. Flucht muss auch räumlich überhaupt möglich sein, um eine Option zu sein. Was bleibt also? Genau, das Erstarren. Das wortwörtliche Verstummen…“Aber sie hätte doch nein sagen können!?“ Nein, das konnte sie eben nicht.

Männer und Gewalt

Mitten in diese Debatte platzte am Wochenende die Veröffentlichung einer repräsentativen Umfrage von Plan International zum Thema „Spannungsfeld Männlichkeit: So ticken junge Männer zwischen 18 und 35 in Deutschland“.

Laut Umfrage findet jeder dritte junge Mann Gewalt in der Partnerschaft „okay“.

34 % aller befragten Männer gaben an, Frauen gegenüber schonmal handgreiflich zu werden, „um ihnen Respekt einzuflößen“.

Im Streit mit der Partnerin halten es 33 % der Männer für akzeptabel, wenn ihnen „gelegentlich die Hand ausrutscht“.

Uns bei 3f machen diese Zahlen sehr betroffen.

Das Private ist und bleibt politisch und jede einzelne Person ist wichtig, um Veränderung voranzutreiben. Natürlich gibt es auch Gewalt gegen Männer und nicht-binäre Menschen, das ist selbstverständlich genauso zu verurteilen. Mann sein bleibt trotzdem ein nicht von der Hand zu weisender „Wettbewerbsvorteil“ in der patriarchalen Gesellschaft, in der wir leben.

Neben körperlicher und psychischer Gewalt (Bedrohungen, Beschimpfungen, Kontrolle) gibt es eine weitere Form der Gewalt, die bislang noch wenig bekannt ist. Beziehungsweise erkennen viele Betroffene sie gar nicht als Gewalt: die finanzielle Gewalt.

Finanzielle Gewalt

Ein Beispiel: Stefan arbeitet als Familienernährer in Vollzeit, seine Frau Aylin leistet zuhause die Care-Arbeit, indem sie wäscht, kocht, putzt, Kinder und Haustiere versorgt und Stefans demente Mutter pflegt. Da Aylin wegen der Care-Arbeit keiner bezahlten Tätigkeit nachgeht, Stefan aber genau deshalb Vollzeit arbeiten kann, steht ihr fairerweise die Hälfte des Familieneinkommens zu. In der Realität landet der Großteil des Familieneinkommens über Stefans Lohnzettel erstmal auf seinem Konto. Was und wie viel er davon an Aylin abgibt, bleibt ihm selbst überlassen. Hier sind bereits alle Kriterien für eine finanzielle Abhängigkeit gegeben.

Aber nun wird es spannend: Stefan gibt Aylin keine feste monatliche Summe, mit der sie planen und über die sie frei verfügen kann. Er verlangt von ihr, dass sie rechtfertigt und darlegt, für was sie wieviel Geld benötigt. Auch ob die neuen Schuhe, die Aylin sich kaufen will, wirklich notwendig sind, entscheidet er. Wenn Stefan seine finanzielle Überlegenheit gegenüber Aylin als Druckmittel einsetzt, reden wir von finanzieller Gewalt: „Wenn du xyz nicht machst, bekommst du kein Geld von mir!“

Man spricht also von finanzieller Gewalt, wenn ein finanzielles Machtgefälle ausgenutzt wird, um Druck auf die abhängige Person auszuüben.

Die Grenzen zwischen finanzieller Abhängigkeit und finanzieller Gewalt können fließend sein. Es lohnt sich, genauer hinzusehen und klar zu benennen, was du beobachtest. Sollte dein Partner nicht gesprächsbereit sein, vertraue dich einer Freundin an und sucht gemeinsam nach Lösungen.

Was du tun kannst

Die eigenen (!) Finanzen im Griff zu haben ist unserer Meinung nach immer noch der beste Schutz vor finanzieller Abhängigkeit und somit auch vor finanzieller Gewalt. Denn mit ausreichenden finanziellen Mitteln kannst du jederzeit die Partnerschaft verlassen, die dir nicht guttut oder auch den Job kündigen, der dich krank macht. Dein Leben, dein Geld, deine Entscheidungen!

Hilfsangebote

Solltest du von irgendeiner Form von Gewalt betroffen sein, findest du an 365 Tagen, rund um die Uhr, anonym und kostenfrei Hilfe beim

Oder auch bei folgenden Stellen:

 

[1]https://www.plan.de/fileadmin/website/04._Aktuelles/Umfragen_und_Berichte/Spannungsfeld_Maennlichkeit/Plan-Umfrage_Maennlichkeit-A4-2023-NEU-online_2.pdf

 

 
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4 Replies to “Macht und Abhängigkeiten”

  1. Gisela Bergenthal

    Das Schreckliche ist, dass man das alles immer und immer wieder sagen muss und dass es immer noch unglaublich viele Leute (meistens Männer) gibt, die einfach sagen: “das glaube ich nicht”.

    • Isabel, Female Finance Forum

      Liebe Gisela,

      das stimmt und das muss sich ganz dringend ändern!
      Deshalb ist es so wichtig, dass wir laut sind und bleiben und nicht müde werden, unsere Sichtweisen zu vertreten.

      Liebe Grüße
      Dein 3f-Team

  2. Jutta

    Nach allem was ich zu dieser “Studie” gelesen habe, ist sie alles andere als repräsentativ: statistisch fragwürdig, bezahlte Antworten von einer nicht nach den Grundlagen guter Statistik erfassten Gruppe.
    Solche Übungen schaden den Opfern und schützen die Täter.
    Im übrigen kann ich Deinen Ausführungen folgen und finde sie gut. Insbesondere die Darstellung zur finanziellen Freiheit.

    • Isabel, Female Finance Forum

      Liebe Jutta,

      die Diskussion um die Repräsentativität der Umfrage haben wir natürlich auch mitbekommen. Und es ist, wie du erwähnst, schade, dass bei so wichtigen Themen nicht gründlicher gearbeitet wird.

      Dennoch wollten wir die Thematik aufgreifen, denn es kann davon ausgegangen werden, dass das tatsächliche Stimmungsbild noch schlechter sein könnte: Bei solchen Umfragen, vor allem wenn es um heikle Themen geht, werden oft Antworten gegeben, die sozial erwünscht sind. Die Realität könnte also durchaus noch düsterer aussehen…

      Lieeb Grüße
      Dein 3f-Team

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